Seit 50 Jahren in Salzgitter: Erinnerung an die Geschichte der Gastarbeiter
Von Hoffnungen und Ängsten in Almanya haben Zeitzeugen berichtet, die als Gastarbeiter oder Personalverantwortliche Anfang der 1960er-Jahre in Deutschland tätig waren. Vor 50 Jahren starteten die großen Industrieunternehmen Salzgitters die ersten Anwerbungsversuche in der Türkei. Zur Erinnerungsveranstaltung kam auch „Ganz unten“-Autor Günter Wallraff.
Der Einladung des Betriebsrates der Salzgitter Flachstahl und des Ortsmigrantenausschusses der IG Metall folgten an die 400 Besucher. Geschichten von Gastarbeitern der ersten Stunden sorgten teils für Schmunzeln, aber auch für betretene Mienen. 1968 kam Hamit Ince als einer der ersten „rekrutierten“ Gastarbeiter nach Salzgitter. Gegen den Willen der Mutter nahm er die Reisestrapazen auf sich, fuhr über drei Tage mit dem Zug von Istanbul bis nach Watenstedt. Der heute 79-Jährige ist dankbar, dass er in Deutschland gut aufgenommen wurde und Freunde gefunden hat.
Sein Sohn Cemal Ince, der 1990 seine Ausbildung bei der Salzgitter AG abschloss, war dagegen irritiert vom Umgang der deutschen Arbeiter gegenüber Migranten. „Demütigungen und Anfeindungen waren normal“, so Ince. Es gab getrennte Pausenräume, unliebsame Arbeiten wurden auf die Türken abgeschoben.
Jürgen Graf, ehemaliger Angestellter in der Personalabteilung, erinnerte sich an die Reise 1961 in die Türkei, um Arbeiter anzuwerben. „Es ging zu wie auf einem Pferdemarkt. Wir sind mit blanko Verträgen angereist. Für uns waren in erster Linie das Alter und der Augenschein der Menschen entscheidend bei der Auswahl.“ Zu Spitzenzeiten lebten bis zu 1500 Gastarbeiter in der Watenstedter „Heimstrasse“. In Baracken untergebracht, gab es nicht mal für jeden ein Bett. „Schlafen im Schichtbetrieb“ hieß es dann, wenn sich die Kollegen die Betten teilen mussten.
Als prominenter Gast schilderte Enthüllungs-Journalist Günter Wallraff seine Eindrücke, die er Mitte der 1980er-Jahre als verkleideter Türke „Ali Levent“ bei Thyssen erleben musste. Sicherheitsvorkehrungen wurden „nur bei den Deutschen“ getroffen, so Wallraff. In seinem Buch „Ganz unten“, das für viele Türken oft das erste deutsche Buch war, schreibt der heute 71-jährige Wallraff: „Der Arbeiter auf der untersten Ebene hatte immer noch einen Türken unter sich, den er rumkommandieren konnte.“
Für Konzern-Arbeitsdirektor Michael Kieckbusch steht außer Frage, dass „Qualität und nicht Nationalität“ entscheidend sind. Seiner Ansicht nach sei dieses Prinzip in einer Einwanderungsstadt wie Salzgitter gut gelungen. Demütigungen und niedere Arbeiten, die ausschließlich ausländischen Arbeitern vorbehalten waren, seien Geschichte. Heute gebe es auf allen Ebenen des Salzgitter-Konzerns türkische Führungskräfte. „Die Integration ist gelungen“, lobte auch Hasan Cakir, Betriebsratsvorsitzender des Stahlkonzerns.