Wolfsburg: Wer nicht impft, handelt fahrlässig
Von Joachim Voss
Wolfsburg. Eigentlich hatte sich Deutschland in Absprache mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Ziel gesetzt, die Masern bis 2015 auszurotten. Davon ist das Land jetzt weit entfernt, denn in Berlin grassiert seit Oktober eine Masern-Welle. Von Ausbruchsbeginn bis zum 23. Februar wurden 574 Masern-Fälle gemeldet. Dies ist der größte Ausbruch der Krankheit in Berlin seit Einführung des Infektionsschutzgesetzes 2001. Und die Krankheit forderte in der Hauptstadt bereits ein Menschenleben: Ein Junge im Alter von anderthalb Jahren sei am 18. Februar in einem Krankenhaus der Infektionskrankheit erlegen, sagte Berlins Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU).
Masernvirus hoch ansteckend und mitunter tödlich
Wie er sich angesteckt hat, ist noch unklar. „Das Kind war geimpft, aber nicht gegen Masern“, sagte Czaja. Es hatte demnach keine chronischen Vorerkrankungen. Der Tod des kleinen Jungen mache deutlich, dass es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handele, sagte Senator Czaja. Und in Berlin-Lichtenrade blieb Anfang der Woche vorsorglich eine Sekundarschule geschlossen, weil bei einem Schüler ein schwerwiegender Verlauf der Infektionskrankheit festgestellt worden sei, sagte eine Sprecherin des Berliner Senats. Die Hauptstadt ist also gewarnt und die Gesundheitsverwaltung ruft mit Nachdruck dazu auf, dass alle noch nicht immunisierten Kinder und Erwachsenen geimpft würden. Denn das Masernvirus ist hoch ansteckend und wird durch Tröpfchen übertragen. Eine Infektion kann schwere Komplikationen wie eine Lungen- oder Gehirnentzündung nach sich ziehen. Zwei Altersgruppen sind besonders gefährdet: Erwachsene über 20 und Kinder bis fünf Jahre. Laut Statistik sterben zwei bis drei von 1000 Patienten an den Folgen einer Masern-Infektion.
Moderne Impfstoffe gut verträglich
Wie konnte es überhaupt zu diesem plötzlichen Ausbruch der Krankheit in Berlin kommen? Denn die Impfquote gegen Masern, Mumps und Röteln ist hierzulande eigentlich sehr hoch. Sie unterscheidet sich zwar von Bundesland zu Bundesland geringfügig, liegt im Schnitt aber bei um die 90 Prozent. Das reicht aber offensichtlich nicht aus. Damit gefährliche Masernviren erst gar keine Chance mehr haben, müssten mindestens 95 Prozent aller Menschen in Deutschland jeden Alters geimpft sein. Zu den fehlenden fünf Prozent zählen jene Erwachsenen, die seit ihrer Kindheit ungeimpft sind, aber auch die Kinder jenes etwa ein Prozent der befragten Eltern, die es laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung strikt ablehnen, ihren Nachwuchs impfen zu lassen. Jene Impfskeptiker nämlich fürchten Nebenwirkungen oder glauben, die Krankheit sei wichtig für die Entwicklung des Immunsystems – in jedem Fall ein fataler Irrtum. Viele Untersuchungen und jahrzehntelange Erfahrungen zeigen: Moderne Impfstoffe sind gut verträglich und unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen werden nur in seltenen Fällen beobachtet.
Wer eine Impfung ablehnt, vertraut auf den Herdenschutz – und lässt damit andere das Risiko der Impfung tragen. Das ist zwar verglichen mit den Komplikationsraten einer Masern-Infektion klein, aber eben nicht Null. Wer sich oder sein Kind nicht impfen lässt, muss sich – mit Ausnahme von Menschen mit chronischen Erkrankungen und Immunschwäche – den Vorwurf gefallen lassen, verantwortungslos und egoistisch zu handeln. Zum einen, weil Masern tödlich enden können, zum anderen, weil Impfen keine Privatsache ist, vor allem dann nicht, wenn ungeimpfte Kinder in die Kita oder zur Schule gehen.
Also zur Sicherheit die generelle Einführung der Impfpflicht? Wolfram Hartmann, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, ist da eher skeptisch: Eine generelle Impfpflicht werde sich wegen der „Widerstände in der Bevölkerung nicht durchsetzen lassen“, sagte er. „Wir fordern aber, dass alle Kinder beim Start in eine überwiegend staatlich finanzierte Kita oder Schule einen Impfnachweis vorweisen müssen.“ Könnten die Eltern keine Bescheinigung für eine Masernimpfung vorlegen, müssten sie ihren Nachwuchs in eine private Einrichtung geben. Sanfter Druck – einen Versuch wäre es auf jeden Fall wert.
Überdurchschnittlich hohe Impfbereitschaft in Wolfsburg
Die Impfbereitschaft der Wolfsburger ist auf einem hohen Niveau. „Schon 2005 waren 97,0 Prozent der Kinder bei der Einschulung mindestens einmal gegen Masern, Mumps und Röteln geimpft“, erklärt Dr. Friedrich Habermann, Leiter des Gesundheitsamtes. 2013 und 2014 waren es sogar 98,4 beziehungsweise 98,2 Prozent. Die Zahl der mindestens einmal geimpften Kinder lag 2014 bei 94,6 Prozent.
Auch die Zahl der schweren Infektionserkrankungen ist in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen. So gab es seit 2011 überhaupt keine Fälle mit der schwer verlaufenden Meningokokkenmeningitis in Wolfsburg. Auch andere Fälle, bei denen das Gesundheitsamt Bürger wegen einer Erkrankung beraten musste, die durch eine Impfung zu vermeiden gewesen wäre, traten in den vergangenen fünf Jahren nicht auf.
„Impfungen gehören zu den medizinischen Maßnahmen, deren Nutzen im Vergleich zum Aufwand extrem hoch ist. Dies ist vielen Patienten leider nicht bewusst, weil das Wissen um Infektionskrankheiten im Laufe der Jahre immer mehr verloren geht“, bedauert Dr. Habermann.
Wichtig ist, die Grundimmunisierung bei Säuglingen und Kleinkindern frühzeitig gemäß der STIKO-Empfehlungen und ohne unnötige Verzögerungen zu beginnen sowie zeitgerecht abzuschließen. Regelmäßige Auffrischungsimpfungen bis zum Lebensende stellen sicher, dass der notwendige Impfschutz erhalten bleibt.
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