Sigmar Gabriel spricht bei der IHK Braunschweig über die EU
Braunschweig. Mit Großbritannien droht erstmals ein EU-Mitglied die Europäische Union zu verlassen. In Frankreich bremst der Protest der „Gelbwesten“ absehbar eine reformfreudige Regierung aus und rechtspopulistische Parteien gewinnen in vielen EU-Mitgliedstaaten an Bedeutung. Wie können Deutschland und die EU in einer Welt zunehmender nationaler Egoismen erfolgreich agieren? Wie muss sich die EU verändern, damit sie den Kontinent wieder einen und mehr Schlagkraft in einer globalisierten und digitalisierten Welt entfalten kann?
Diesen Fragen ging der ehemalige Vizekanzler und SPD-Bundestagsabgeordnete Sigmar Gabriel bei der Industrie- und Handelskammer auf den Grund.
„Braucht Europa mehr Puls?“ hatten die IHK Braunschweig und die IHK Lüneburg-Wolfsburg ihre Veranstaltung überschrieben. „Wir haben es in Europa geschafft, dass innerhalb einer Generation aus Feinden Freunde wurden – dafür lohnt es sich, zu kämpfen“, sagte der frühere Bundesaußen- und -wirtschaftsminister in seinem Vortrag über die aktuellen Heraus-forderungen der Europäischen Union in einer zusehends unbequemer werdenden Welt.
Die zunehmenden geopolitischen Spannungen in der Welt nahmen den zentralen Teil in Sigmar Gabriels Ausführungen ein. Der Konflikt zwischen den USA und China sei seiner Ansicht nach die prägende Auseinandersetzung des 21. Jahrhunderts.
„Es geht um die Frage, wer die wirtschaftliche, technologische, politische und auch die militärische Vorherrschaft in der Welt hat. Das ist die Auseinandersetzung, die gerade läuft: Wir sind auf dem Weg in eine G2-Welt“, fasste der Goslarer zusammen. Die Europäische Union und besonders Deutschland würden allein aufgrund wirtschaftlichen Erfolges respektiert, mit dem Austritt Großbritanniens aus der Union schwäche sich das ökonomische Gewicht – die EU werde massiv an politischem Einfluss in der Welt verlieren.
Damit Europa als dritte Kraft neben den USA und China bestehen kann, sollte es seine eigene Stärke entwickeln. Gabriel nannte dafür zwei Ansatzpunkte: Zum einen müsse der Euro zu einer globalen Leitwährung aufsteigen und die Unabhängigkeit vom Dollar gewinnen. Zweitens solle die EU die eigene Verteidigungsfähigkeit stärken. Dazu zähle auch, den osteuropäischen Mitgliedsstaaten der NATO und EU eine glaubhafte Beistandsgarantie auszusprechen. Deutschland empfahl er, insbesondere seine Unternehmensbesteuerung im internationalen Vergleich wettbewerbsfähiger zu gestalten: „Wir müssen die Körperschaftssteuer senken, andernfalls laufen uns die Unternehmen davon.“ Anje Gering, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin der IHK Braunschweig, und Michael Wilkens, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Lüneburg-Wolfsburg, führten durch die Podiumsdiskussion im Kongresssaal der IHK Braunschweig. Hier stellten sich neben Gabriel auch IHK-Vizepräsident und Unternehmer Dr. Jochen Stöbich sowie Christoph Bretschneider, Geschäftsführer der BBR Verkehrstechnik GmbH, den Fragen der Moderatoren und des Publikums. In der Debatte ging es um Standards und Regelwerke im Welthandel, die Reformvorschläge zur EU des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, die aktuelle Strategie zur deutschen Industriepolitik, die Neue Seidenstraße Chinas sowie die geplatzte Fusion der Bahnsparten der Unternehmen Siemens und Alstom.
Abschließend empfahl Sigmar Gabriel allen Unternehmen, im eigenen Betrieb auf die anstehende Europawahl hinzuweisen und die Mitarbeiter über die wirtschaftlichen Vorteile, die Europa für jeden Bürger Deutschlands hat, aufzuklären.