Elfi Lonski: Meine Neugier hat mir das Weihnachtsfest verdorben
Lengede. Unser Lehrer gab uns die Aufgabe, einen Aufsatz über die Zeit nach Weihnachten zu schreiben. Nun saß ich zu Hause und mir fiel gar nichts ein. „Nach Weihnachten“, ist doch langweilig, „Vor Weihnachten“, das macht Sinn. Also fing ich an zu schreiben:
„Die Vorweihnachtszeit bei uns zu Hause hat mich immer fasziniert, es roch nach selbst gebackenen Plätzchen, morgens zum Frühstück brannten schon die Kerzen, und selbst die Stimmung war gedämpft in voller Erwartung auf Weihnachten. Als ich einmal wieder allein zu Hause war und Langeweile hatte, überlegte ich, wo wohl die Weihnachtsgeschenke versteckt sein könnten! Sofort packte mich die Neugier (dafür war ich bekannt), und ich fing an zu suchen. Im Wohnzimmerschrank? Ne, das war zu einfach. Ich versuchte es im Schlafzimmerschrank und siehe da, ich wurde fündig, da lagen tatsächlich unter einigen Kleidungsstücken versteckt ein paar Geschenke. Aber mein geschultes Auge erkannte sofort, dass es sich um die Geschenke für meine Schwester handelte, denn diese Geschenke musste man nicht verstecken, sie würde nie in Schränken herumwühlen, sie war halt anders als ich – nicht so interessiert, man könnte auch „nicht so neugierig“ sagen!
Ja, aber wo waren die Geschenke für mich? Da fiel mir der alte Schrank auf unserem Dachboden ein. Mit Mühe bekam ich die Bodenklappe gestemmt und sah sofort, dass der Schrank verschlossen war. Jetzt wusste ich: Hier waren sie, meine Weihnachtsgeschenke. Ich lief nach unten, zog die Schlüssel von allen Schränken ab, lief wieder hoch und probierte einen nach dem anderen aus. Nummer eins passte nicht, Nummer zwei passte auch nicht, Nummer drei, oh Glück, die Tür sprang auf, und ich hatte es geschafft: Meine Weihnachtsgeschenke lagen vor mir: ein Wintermantel (hab ich mir gewünscht), ein Buch und das Wichtigste: ein riesiger Legokasten zum Häuser bauen, den wollte ich schon lange unbedingt haben. Zufrieden mit mir und meiner Spürnase schloss ich alles wieder weg, Bodenklappe zu, und als meine Eltern nach Hause kamen, saß ich ganz brav mit einem Buch auf dem Sofa.
Weihnachten näherte sich, und meine Schwester wurde immer aufgeregter in ihrer Vorfreude auf die Geschenke. Ich nicht – ich wusste ja schon alles. War ja gar nicht mehr spannend. Nun kam der Heilige Abend. Meine Schwester war zuerst mit dem Abendessen fertig, weil sie schnell ihre Geschenke sehen wollte. Ich nicht, ich aß und aß und hatte gar keine Eile. Dann kam die Bescherung: Meine Schwester war überrascht und erfreut von jedem Teil, das für sie unter dem Baum lag. Ich probierte den Mantel an, er passte, sah den Legokasten und tat freudig überrascht, damit niemand merkte, dass ich gar nicht überrascht war. Insgeheim hoffte ich, dass noch eine klitzekleine Überraschung unter dem Baum für mich lag – vergebens. In diesem Moment habe ich mir geschworen, nie wieder nach Geschenken in Schränken zu wühlen und mir damit selbst die Überraschung zu nehmen.“
So, der Aufsatz war geschrieben und ich freute mich schon auf eine gute Zensur. Der Tag kam. Unser Lehrer, verteilte die Hefte, und dann war er bei meinem Aufsatz – die Spannung stieg. „So, liebe Elfi, dein Aufsatz ist wirklich gut geschrieben, aber leider hast du das Thema verfehlt, Du solltest etwas über die Zeit nach Weihnachten und nicht vor Weihnachten schreiben, und deshalb ist dein Aufsatz eine glatte 6.“ Ich wurde knallrot (vor Wut oder vor Enttäuschung – ich weiß es nicht). Dann fügte er noch hinzu: „Ja, du hast das Thema verfehlt, aber weil der Aufsatz so gut geschrieben ist, bekommst du noch eine 3“. Jetzt musste ich auch noch dankbar sein!