Serie: Gifhorns Straßennamen-Detektive
Gifhorn. Muss ein Mensch es „verdient“ haben, für eine Gifhorner Straße Pate zu stehen? Oder kann ein Straßenname auch ein Mahnmal statt eines Denkmals sein? Sollte die Stadt vielleicht sogar gänzlich darauf verzichten, ihre Wege nach realen Menschen zu benennen? Die Fragen, nach denen die Gifhorner Schüler, die sich an dem Projekt „Gifhorns Straßennamen – Gifhorns Geschichte – unsere Verantwortung heute“ beteiligen, mussten sich ganz grundsätzliche Gedanken darüber machen, was sie mit ihren Recherchen erreichen möchten.
Seit Anfang Oktober beleuchten Projektgruppen von drei Gifhorner Schulen den Hintergrund von Personen, deren Name eine Straße im Stadtgebiet ziert. Insbesondere ist ihnen die Frage wichtig, ob diese eine Verbindung zum Nationalsozialismus hatten.
Schüler vom Otto-Hahn-Gymnasium, vom Humboldt-Gymnasium und der Dietrich-Bonhoeffer-Realschule versammelten sich im Ratssaal und wurden neben Vertretern der Stadt auch von einer unumstrittenen Koryphäe in Sachen Lokalgeschichte empfangen: Prof. Dr. Gerd Biegel, Leiter des des Instituts für Braunschweiger Regionalgeschichte, begleitet die Forschungsarbeit der Nachwuchs-Historiker. Neben den Recherchen der Gifhorner Schüler werden auch Studierende der Technischen Universität Braunschweig sich mit den Gifhorner Straßen auseinandersetzen, etwa im Rahmen von Examensarbeiten. „Das Ganze hat einen akademischen Überbau“, so Thomas Husemann, der die Projektgruppe am Otto-Hahn-Gymnasium leitet.
Bevor die Schülerarbeit ins Detail ging, musste erst einmal sortiert werden: So fallen alle historischen Personen, die vor 1933 gestorben sind, schon einmal weg. Auch aus dem Fadenkreuz der „Geschichts-Ermittler“ ist beispielweise die Anne-Frank-Straße, da Anne Frank zu den Opfern des Nationalsozialismus gehörte. Ebenfalls „unverdächtig“ ist die Claus-von Stauffenberg-Straße, obwohl der Hitler-Attentäter bis zu seinem Bombenanschlag ein hoher Offizier im Dritten Reich war.
So einfach ist die Frage „Nazi oder nicht?“ folglich nicht zu beantworten.
Eine Hauptaufgabe der Schüler ist es, Kurzbiografien über die interessantesten Namen zu erstellen, um ihre historische Bedeutung einordnen zu können. „Dazu nutzen wir das Internet, das Stadtarchiv und haben auch viele Bücher aus der Stadtbücherei ausgeliehen“, erklärt Maximilian Bradaczek, Zwölftklässler am OHG. Sein Lehrer Thomas Husemann fügt hinzu: „Die Stadt unterstützt uns in jeder Form und würde auch Kosten, beispieweise für Recherche-Reisen, übernehmen.“
Bis zur Abschlussveranstaltung am 18. März ist noch einiges zu tun: Es gilt nicht nur, Informationen über die Namensgeber zu sammeln. Hieraus ergeben sich nämlich schon die nächsten Fragen wie Funktion von Personen in Straßenbezeichnungen sowie die Bedeutung für ihre Bewohner.
Mehr zur Forschungsarbeit der Gifhorner Schüler und welche Straßennamen sie genauer unter die Lupe nehmen, lesen Sie in der nächsten Folge dieser Serie in einer der kommenden hallo-Ausgaben.
Hintergrund und Entstehung:
Den Anstoß für das Schüler-Forschungsprojekt gab die späte Erkenntnis, dass die Dr. Gotthard-Rattay-Straße (nahe II. Koppelweg) nicht nur nach einem ehemaligen Gifhorner Stadtrat benannt wurde, sondern auch nach einem bekennenden Nationalsozialisten und Antisemiten. Die Stadtverwaltung schlug kurzerhand eine Umbennenung vor, die der Stadtrat am 17. Juni vergangenen Jahres einstimmig beschloss.
Gifhorns erste Kindergärtnerin Elisabeth Liedy, besser bekannt als Tante Elisabeth, wurde Namesgeberin für die Straße. Eine Kurzinformation über Tante Elisabeth ist für den Interessierten auch auf einem Hinweis unter dem Straßenschuld zu lesen.
„Wir wollten künftig nicht mehr auf solche Erkenntnisse reagieren, sondern aktiv damit umgehen“, erklärte Bürgermeister Matthias Nerlich bei der Auftaktveranstaltung am 8. Oktober im Ratssaal. So entstand die Idee des lokalen Forschungsprojekts, das von der Stadt Gifhorn unterstützt und bei Bedarf auch finanziell gefördert wird. Die Koordination hat HG-Lehrer Matthias Rohdenburg übernommen. Als wissenschaftlicher Berater steht Prof. Dr. Gerd Biegel aus Braunschweig den Schülern zur Seite. Die Ergebnisse präsentieren die Projektgruppen am 18. März in der Gifhorner Stadthalle.