Grimm:„Die Ilseder Hütte strapaziert die Nerven“
LAHSTEDT In der Reihe der Bürgermeister-Interviews ist an diesem Sonntag die Gemeinde Lahstedt dran. Mit Klaus Grimm sprach Janine Kluge.
NPW: Lahstedt – die Wohlfühlgemeinde. So werben Sie für Lahstedt. Herr Bürgermeister woran machen Sie das fest?
Grimm: Wir sind in der besonderen Situation, dass wir nicht in einer zentralen Lage liegen. Deshalb steht bei uns im Vordergrund, die Örtlichkeiten wohngerecht zu gestalten. Unsere Strategie ist es, Baugebiete mit naturnahen Bereichen auszuweisen. Wir waren eine der ersten Gemeinden, die in allen Baugebieten Trennsysteme und Zisternennutzung anbietet und die getrennte Abwassergebühr eingeführt hat. Es wird auch viel für die Naherholung getan und die Ortschaften entwickeln sich weiter. Gleichzeitig erhalten sie sich aber ihren dörflichen Charme.
NPW: Vielerorts gelten Sie deshalb auch als Öko-Gemeinde…
Grimm: Das kommt daher, da wir gewisse umweltnahe und umweltverträgliche Ideen wie die naturnahe Abwasserbehandlung entwickelt haben, die unsere Gemeinde in den Jahrzehnten maßgeblich geprägt haben. Die Umwelt ist bei uns ein wichtiger Faktor, aber auch nur einer in dem Gesamtpaket „Wohnen, Leben und Arbeiten in Lahstedt“.
NPW: Die Zeiten der großen Stadtflucht sind vorbei. Wie gewinnen Sie Neubürger?
Grimm: Wir haben das Glück, dass wir nahe zu den Städten Salzgitter, Braunschweig und Hildesheim liegen. Deshalb wohnen auch viele Pendler in der Gemeinde. Auch, wenn wir einen Nachteil in Sachen Infrastruktur haben, weil wir kein eigenes Schulzentrum haben. Aber trotzdem sind wir im schulischen Bereich gut aufgestellt, da die Wege zu den anliegenden Schulzentren kurz sind. Wir haben fast 100 Vereine, Verbände und Organisationen in den Ortschaften und jährlich mehr als 700 Veranstaltungen. Wir sind eine Gemeinde, in die man sich sehr schnell integrieren kann.
NPW: Sie sprachen den schulischen Bereich an. Ist die Kinderbetreuung auch in den Ortschaften gesichert?
Grimm: Mittelfristig bleiben alle Einrichtungen vor Ort. Wir verfügen derzeit in der Gemeinde über 70 Krippenplätze, was den geforderten 35 Prozent entspricht. Der Bedarf ist natürlich höher, deshalb werden leere Kindergartengruppen durch Kita-Gruppen ersetzt. Außerdem haben wir vier Grundschulstandorte. Allerdings macht uns die Grundschule Groß Lafferde momentan etwas Sorgen.
NPW: Weshalb?
Grimm: Es sind die sinkenden Schülerzahlen. Dadurch, dass Oberg zu einer Ganztagsgrundschule geworden ist, haben viele Eltern ihr Kinder lieber dort angemeldet. Unser Plan ist es aber nun, auch in Groß Lafferde ein pädagogisches Konzept zur Nachmittagsbetreuung anzubieten. Zum Schuljahresbeginn im Sommer soll das Konzept bereits anlaufen.
NPW: Ist das eine langfristige Lösung?
Grimm: Derzeit stabilisiert sich in der Gemeinde die Geburtenrate. In Hinblick auf den demografischen Wandel fallen wir weniger stark als andere Regionen. Aber auch wir haben in den letzten drei bis vier Jahren etwa 200 Einwohner verloren. Die Bevölkerung wird immer älter, diesem Thema müssen wir uns stellen. Deshalb haben wir einen runden Tisch eingerichtet, der erarbeitet, welche Entwicklungspotenziale es in der Gemeinde gibt. Ein gesunder Mix von etwa 20 Personen aus Vereinen, Verbänden, Kirche, Politik und interessierten Bürgern sammelt derzeit Ideen, wie wir uns in Bezug auf Betreuung, Wohnumfeld und Wohnberatung entwickeln können. Dieser runde Tisch erhält auch ein Grundbudget, um etwa Experten zurate zu ziehen.
NPW: Der Haushalt ist ein sensibles Thema in der Gemeinde. Bei einem für 2012 erwarteten Haushaltsdefizit von 874 600 Euro ist weiterhin sparen angesagt. Auf Kosten der Bürger?
Grimm: Letztendlich bleibt uns selbst gar nicht mehr so viel Spielraum zur Einsparung. Die Gemeinde hat bereits den Vertrag des Zweckverbandes „Wirtschaftsbetriebe Ilsede/Lahstedt zum 31. Dezember 2013 gekündigt. In Sachen Energie stellen wir derzeit unsere Straßenbeleuchtung auf LED um und sanieren Gebäude und Turnhallen. Als nächsten Schritt wollen wir uns möglichst auch selbst mit erneuerbaren Energien versorgen. Aber vor allem das Sanierungsgebiet Ilseder Hütte, das uns finanziell sehr stark belastet, strapaziert natürlich die Nerven der Bürger.
NPW: Wie geht es im Fall der Industriebrache Ilseder Hütte weiter?
Grimm: Die Sanierung des Hüttengeländes ist eine gemeinsame Mammutaufgabe mit der Gemeinde Ilsede. Die Herausforderung der vergangenen 15 Jahre war, eine Lösung für das Gelände zu finden. Aber der Aufwand ist erheblich und wir sind ein großes finanzielles Defizit für das Gelände eingegangen. Der Planungsverband wird von beiden Gemeinden zum 31. Dezember 2012 aufgelöst. Nun versuchen wir Strukturhilfemittel für den Zukunftsvertrag zu erhalten. Es wird sehr schwer, diese Gelder zu bekommen, aber wir kämpfen darum – und zwar ohne Fusion.
NPW: Warum lehnen Sie eine Fusion mit der Gemeinde Ilsede so stark ab?
Grimm: Wir haben etwas gegen Zwangsfusion. Das habe ich in der Vergangenheit – vielleicht auch ein bisschen rebellisch – immer wieder deutlich gemacht. Bei den derzeitigen Rahmenbedingungen würde eine Fusion mit der Gemeinde Ilsede voll zu Lasten der Einwohner gehen. Beide Gemeinden sind verschuldet und bei einer Fusion würde keine leistungs- und zukunftsfähige Gemeinde entstehen. Wenn eine Fusion sein muss, wieso dann nicht mit einer Gemeinde aus dem Südkreis wie etwa Hohenhameln? Wir verfolgen deshalb weiterhin die Eigenentschuldung nach dem Zukunftsvertrag.
NPW: Der Zukunftsvertrag sieht vor, bis 2015 schuldenfrei zu sein. Ein ehrgeiziges Ziel…
Grimm: Ja, das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel, das natürlich von Rahmenbedingungen abhängt – etwa dem Finanzausgleich des Landes Niedersachsen, der Einkommensteuer oder dem Landkreis Peine. Unser Appell richtet sich deshalb auch an den Landkreis, die Kreisumlage zu senken. Die Gemeinde Lahstedt macht jedenfalls weiterhin alles und verfolgt optimistisch die Ziele, die das Land ihr vorgibt.
NPW: Sie sind beinahe seit der Gründung der Gemeinde 1971 in Lahstedt tätig, seit sieben Jahren Bürgermeister. Wie schätzen Sie die Zukunft der Gemeinde ein?
Grimm: Es wird sich kommunal etwas ändern, vielleicht auch ändern müssen. Momentan sind Fusionen auf Freiwilligkeit gestellt, ich bin gespannt wie lange es so bleibt. Unser Wunsch ist auch weiterhin die Eigenständigkeit. Aber wenn es eine Neuordnung gibt, dann muss man starke Gemeinschaften bilden. Ich habe kein Problem damit, die Gesamtentwicklung mitzugestalten. Aber nur zum Wohle der Bevölkerung.