Jesiden-Leid als Film: Autorin zu Gast im Kultiplex Salzgitter
SZ-Lebenstedt. Düzen Tekkal war keine Kriegsberichterstatterin – bis zum Zeitpunkt, als sie 2014 während ihrer Reise in den Nord-
irak selbst Augenzeugin des Massenmordes an ihrem eigenen Volk wurde. In ihrem Film „Háwar – meine Reise in den Genozid“ dokumentiert sie auf dramatische Weise das unfassbare Leid der vom IS verfolgten Religionsgemeinschaft der Jesiden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) lud die Filmemacherin und Autorin nun ins Kultiplex-Kino nach Salzgitter ein.
Rund 150 Besucher fanden in den Kinositzen Platz, als der knapp 100-minütige Dokumentarfilm begann. Die ersten Aufnahmen sind dabei noch idyllisch: Düzen Tekkal, die selbst aus einer jesidischen Flüchtlingsfamilie stammt, sitzt inmitten ihrer großen Familie am Essenstisch in Hannover und erzählt davon, dass sie gemeinsam mit dem Vater in dessen Geburtsort im Nordirak reisen will, um dort ihre eigenen Wurzeln zu finden.
Doch es kommt anders – denn als sie im Sommer 2014 im Sindschar-Gebirge im Nordirak ankommen, befinden sich Vater und Tochter mitten im Krieg. Vor fast genau zwei Jahren fallen IS-Terroristen nachts in die yezidische Stadt ein. So erleben sie ein Volk auf der Flucht. Die 37-Jährige führt viele Gespräche, erfährt während ihrer Reise wie der IS die Jesiden bedroht. Aus einer ursprünglich geplanten Reise zu den Wurzeln wird für die heute in Berlin lebende Journalistin ein Einsatz als Kriegsberichterstatterin.
„Der Krieg hat mich zu einer Entscheidung gezwungen, entweder hin- oder wegzugucken. Ich habe mich dafür entschieden hinzuschauen“, sagt Tekkal. Die gesammelten Eindrücke, Bilder und Worte der Menschen im Kriegsgebiet sind für die 37-Jährige auch heute noch schwer zu verarbeiten. „Es sind Bilder und Geschichten, die ich mein Leben lang nicht vergessen werde. Ich rede dabei von hilflosen jungen Kindern, die innerhalb von Sekunden zu Vollwaisen gemacht wurden, Massenvergewaltigungen und Kannibalismus. Ich rede von Dingen, die wir im 21. Jahrhundert nicht für möglich gehalten haben.“
Eine Begegnung hat sich bei der Journalistin besonders eingebrannt – sie traf auf einen Vater, deren zwei kleine Töchter von der IS-Terrormiliz verschleppt wurden: „Er sagte mir, ihm wäre es lieber, seine Töchter wären tot, als in den Händen dieser Bestien“. Für die Dokumentation reiste Tekkal über Monate mehrmals in das umkämpfte Gebiet, gesichert durch Schutzwesten und Sicherheitstruppen. Entstanden ist ein trauriger, aber aufrüttelnder Film – ihre persönliche Waffe gegen den Terror, wie Tekkal selbst sagt. „Der Film soll möglichst ungefiltert zeigen, was ich während meiner Reise empfunden habe, ich will die Menschen sensibilisieren. Mit Schülern sprechen wir über Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus. Auch jeder Völkermord fängt mit einem Feindbild an.“ Denn die Regisseurin warnt, dass der Terror auch in Europa angekommen ist. „Die europäische Welt hat zu lange die Augen verschlossen, weil es sie nicht betroffen hat. Der Terror kennt aber weder Herkunft noch Religion und trifft alle, die Schuldigen und Unschuldigen.“ Dennoch appelliert sie entschlossen: „Wir dürfen uns von den Angstmachern nicht dominieren lassen, wir müssen leben und dürfen nicht leben lassen.“