Keine Mehrheit für neues Industriegebiet in Salzgitter
Salzgitter. Die Stadt kann die Pläne für ein gemeinsames Industrie- und Gewerbegebiet mit der Stadt Braunschweig zu den Akten legen. Im Rat gab es keine Mehrheit dafür, die Arbeiten an dem Großprojekt fortzusetzen. Die Entttäuschung bei Oberbürgermeister Frank Klingebile ist groß, noch größer war vermutlich nur die Freude bei der Bürgerinitiative „Nein“, die in der Sitzung eine hitzige Debatte mit knappem Ausgang erlebte.
Am Ende der Auszählung standen 20 Ja-Stimmen den 20 Nein-Stimmen gegenüber, dazwischen eine Enthaltung. Mit dem Patt war klar, dass die Verwaltung die weiteren Planungen für das interkommunale Industriegebiet bei Thiede einstellen muss. Und das, obwohl der Braunschweiger Stadtrat zuvor grünes Licht gegeben und damit den Druck auf die Abstimmung erhöht hatte.
„Der Rat der Stadt Salzgitter hat nach langer kontroverser Debatte eine einmalige Chance für eine nachhaltige strukturpolitische Weiterentwicklung als Industriestandort ohne Not vertan,“ erklärte Oberbürgermeister Frank Klingebiel nach der Entscheidung. Sein Vorschlag, die Chancen für ein mögliches Gewerbe- und Industriegebietes zwischen Braunschweig und Salzgitter weiter zu prüfen, fand nicht die erforderliche Mehrheit.
Wie berichtet, sollte auf einer Fläche zwischen Autobahn 39, Stichkanal und Bahnhof Beddingen in zwei Schritten ein 145 Hektar großes Gewerbe- und Industriegebiet entstehen, in dem zum Teil rund um die Uhr gearbeitet werden könnte. Eine Machbarkeitsstudie hielt das Projekt für wirtschaftlich sinnvoll, die Umsetzung hing aber von finanziellen und planungsrechtliche Bedigungen ab, die bis Ende 2019 geprüft werden sollten. Doch das hat sich erledigt, der Rat hat der Verwaltung dafür keinen Auftrag mehr erteilt.
Nahezu quer durch das Gremium ging ein Riss, die Arbeiten fortzusetzen oder nicht. Außer dem Oberbürgermeister waren elf Mitglieder der CDU-Fraktion, drei der MBS-Fraktion, ein Mitglied der Linken, eines aus den Reihen der FDP und drei SPD-Mitglieder dafür. 14 SPD-Politiker, die drei Ratsmitglieder von Bündnis 90/Die Grünen, zwei CDU-Mitglieder und ein MBS-Ratsherr hielten es für richtig, das Projekt aufzugeben. Ein SPD-Politiker enthielt sich der Stimme, es war Landtagsabgeordneter Stefan Klein.
Der OB bedauerte danach nicht nur den Beschluss, sondern auch den Umgang der Politiker im Vorfeld. „Die Auseinandersetzungen und Anfeindungen ließen zeitweise vermuten, dass es um den Untergang des Abendlandes ging und nicht um einen reinen Prüfauftrag.“ Frank Klingebiel befürchtet nun, dass Salzgitter „künftig bei strukturpolitischen Förderungen des Landes Niedersachsen ins Hintertreffen“ geraten werde.
Ganz anders die Stimmung auf den Rängen, wo die Mitglieder Bürgerintiative die 75-minütige Diskussion und die namentliche Abstimmung verfolgt hatten. „Wir sind sehr zufrieden und froh, dass so viele Ratsmitglieder unsere Bedenken teilen“, so BI-Vorsitzender Eberhard Hentschel. Die Menschen in den Kanaldörfern seien heute schon belastet mit der Hütte, mit VW und dem Hafen. „Das Industriegebiet hätte unsere Lebensqualität in einem großen Einfluss benachteiligt.“
Politische Reaktionen zum Aus für das Industriegebiet
Wie stehen die Parteien zu dem Aus für das Industriegebiet bei Thiede: „Als CDU-Ratsfraktion bedauern wir, dass ein denkbares Projekt mit Strahlkraft für Salzgitter und die Region nicht weiter geprüft wird, ohne zu wissen, ob wir es hätten realisieren können“, so der scheidende CDU-Ratsfraktionsvorsitzende Rolf Stratmann. Die von den Verwaltungen in Braunschweig und Salzgitter erdachte Vorgehensweise sei
jetzt auf unbestimmte Zeit „eingefroren“. Die Flächen, die Salzgitter in ein solches Gebiet mit eingebracht hätte, waren laut Rolf Stratmann 2004 für 20 Millionen Euro erworben worden, um dort ein interkommunales Gewerbegebiet mit Braunschweig zu realisieren. Er vermisst Alternativen der Verweigerer und erwartet von ihnen, dass sie Perspektiven aufzeigen.
Enttäuschung auch bei der MBS, die mit Mehrheit für die Prüfung gestimmt hatte. Fraktionsvorsitzender Stefan Roßmann hätte sich gewünscht, vor einer endgültigen Enscheidung noch mehr Informationen zu haben. Die Ratspolitiker sollten bei einer Abstimmung die gesamtstädtische Entwicklung im Blick haben und nicht die persönliche Betroffenheit. Für stefan Roßmann haben sich viele Ratsmitglieder nicht die Mühe gemacht, sich alle Unterlagen genau anzusehen.
Die Linke im Rat bedauert das Aus für die Forsetzung der Prüfung. „Die Chancen für Arbeitsplätze, Einkommenssicherung und die Weiterentwicklung der Industrieregion wurden vertan“, so Frakionssprecher Hermann Fleischer.
Freude dagegen bei Salzgitters FDP, deren Mitglied in Rat zwar für die Prüfung stimmte, der Kreisvorstand begrüßt aber „die Abkehr des Rates von dem Industriegebiet“. Es sollten keine weiteren Haushaltsmittel für das Projekt mehr bereitgestellt werden müssen“, so Vorsitzender Ralf Ludwig. Die Entscheidung spiegele die Stimmung der Bürger wider und ist „ein gutes Signal für eine bürgernahe Politik“. Ralf Ludwig verweist auf ein Positionspapier, in dem sich der Vorstand gegen das Industriegebiet ausspricht. Die FDP sei für eine „maßvolle Wirtschaftsförderung“. Es gebe Alternativen, die die Stadt voranbringen und weniger finanzielle Risiken bergen.