Kommt die Champions League nach Salzgitter?
Salzgitter. Die Fakten liegen auf dem Tisch, die Debatte ist eröffnet. Frank Klingebiel und Ulrich Markurth, die Oberbürgermeister der Städte Salzgitter und Braunschweig, haben die Machbarkeitsstudie für ein gemeinsames Gewerbe- und Industriegebiet bei Thiede vorgestellt. In ihren Auftritten vor der Politik, vor Vertretern der Medien und der Bevölkerung machten sie deutlich, dass sie eine „nördliche Weiterentwicklung des Industriegebietes Salzgitter“ für umsetzbar und erstrebenswert halten. Allerdings liegen auf dem Weg in die „Champions League“ der Wirtschaftsstandorte noch einige Brocken. Erst wenn die geklärt sind, soll es um Detailfragen gehen. Um die Planung voran zu treiben, wollen sich die Stadtoberhäupter im Juni grünes Licht in ihren Räten holen. Noch sei nichts entschieden, hieß es bei der Präsentation.
Auf 72 Seiten kommt die Machbarkeitsstudie zu dem „Interkommunalen Gewerbe- und Industriegebiet“, das nach Worten der Oberbürgermeister eine einzigartige Chance für die Region und sogar das Land Niedersachsen darstellt. Frank Klingebiel und Ulrich Markurth werben dafür, erst einmal Lösungen und Fördermöglichkeiten zu ermitteln. Erst wenn die Ergebnisse dieser Untersuchungen im September 2019 vorliegen, soll die Politik über das Gebiet verbindlich entscheiden. Das könnte Ende 2019 der Fall sein. Für die Entwicklung werden mindestens weitere fünf Jahre kalkuliert, ehe der erste Betrieb ans Werk gehen kann.
Es geht dabei um Flächen auf Vorrat für eine Wirtschaft, die im Wandel ist und deren Entwicklung heute noch keiner so genau kennt, räumten die beiden Verwaltungschefs ein. Sie mutmaßen, dass sich Firmen aus den Bereichen wie Mobilität, Maschinenbau oder neuer Energie eines Tages in der Region ansiedeln wollen. Kommunen müssten in Zukunft schnell auf den Bedarf reagieren können, sie stünden im Wettbewerb zu Standorten in Osteuropa oder China. Nuklearbetriebe wollen beide allerdings ausschließen.
Die Größe stellt nach Worten der Oberbürgermeister eine Herausforderung dar, wurde aber schon reduziert. Die Studie begutachtet 362 Hektar vom Forst Stiddien im Norden bis zur Autobahn 39 im Süden, vom Stichkanal im Westen bis zum Bahnhof Beddingen im Osten Es wird empfohlen, die Bereiche rund um den Ellernbruchsee herauszunehmen, die Fläche auf 211 Hektar zu reduzieren und in drei Abschnitte zu teilen. Die ersten beiden Flächen umfassen 145 Hektar, von denen 40 Hektar auf die Industrie entfallen, die dann auch 24 Stunden am Tag läufen darf. Im dritten Gebiet, das später entwickelt werden soll, gäbe es noch einmal 42 Hektar für Gewerbe und 24 für Industrie.
„Es lohnt sich, die Probleme zu lösen“, sieht Braunschweigs Oberbürgermeister Ulrich Markurth seine Erwartungen „radikal bestätigt“. Nirgendwo in der Region gebe es eine Fläche vergleichbarer Größe mit so einer günstigen Lage und einer trimodalen Verkehrsanbindung über Stichkanal, Bahnlinien und Autobahn. Das Vorhaben hat nach Worten der Oberbürgermeister eine landesweite Bedeutung.
Entsprechend soll aus Hannover auch Geld fließen, um das Gebiet zu erschließen und zu entwickeln. 125 Millionen Euro wären nötig, um die ersten beiden Abschnitte umzusetzen. 40 Prozent davon soll das Land tragen. Dieser Zuschuss ist eine der Kernvoraussetzungen, ohne die sich das Ganze nicht bezahlen ließe.
Aber die Finanzen sind nicht der einzige Brocken, um den sich Frank Klingebiel und Ulrich Markurth mit ihren Teams kümmern müssen. Im Regionalplan ist bisher ein Kiesabbau im geplanten Gewerbegebiet vorgesehen. Der Regionalverband Großraum Braunschweig müsste diese Bestimmung mit dem Land aufheben. Das halten Ulrich Markurth und Frank Klingebiel für machbar.
Und noch ein Punkt steht ganz oben auf der To-do-Liste: Die Autobahn 39 bräuchte spätestens mit dem zweiten Abschnitt einen neuen Anschluss zur Kreisstraße 16, um den LKW-Verkehr direkt in das neue Gewerbegebiet zu steuern. Denn die Belastung der Anlieger soll so gering wie möglich sein. Beide Kommunen streben an, dass ein Viertel der Beschäftigten mit der Bahn oder dem Fahrrad zu ihren Arbeitsplätzen fahren.
Insgesamt 2.700 neue Jobs sollen durch das neue Gebiet entstehen, hinzu kommen weitere Arbeitsplätze durch Umzüge von Firmen. Die Investition soll sich eines Tages bezahlt machen, auch wenn die Zahlen wenig belastbar scheinen. Vom „Blick in die Kristallkugel“ sprachen die Oberbürgermeister in Bezug auf Voraussagen. Wenn es in Thiede einmal brummt, könnten laut Studie 21 Millionen Euro mehr an Gewerbesteuern fließen, dazu käme ein Plus von 7,8 Millionen Euro bei der Einkommenssteuer. Bis 2039 soll sich der Gewinn dann auf 3,8 Millionen Euro belaufen. Die volkswirtschaftlichen Effekte wären dabei noch nicht berücksichtigt. Wie mögliche Einnahmen später unter ihren Städten verteilt werden, dazu äußerten sich die Oberbürgermeister nicht.
„Wir müssen erst die dicken Bretter bohren“, betont Frank Klingebiel. Es handele sich um eine Aufgabe, die weit über die Wahlzeit hinaus wirke. Ängste und Sorgen seien berechtigt, „doch wir stehen an einem Scheideweg. Wie stellen sich die Stadt, die Region und das Land auf?“ Seine Devise ist klar. „Salzgitter sollte sich der Herausforderung stellen.“
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