Salzgitters OB Klingebiel: „Zuwanderung ist eine Chance“
Der Beginn des Jahres ist fast deckungsgleich mit dem Start in die zweite Amtszeit für Salzgitters wiedergewählten Oberbürgermeister Frank Klingebiel. hallo-Redakteur Roland Weiterer traf ihn zum Neujahrsgespräch.
hallo: Viele Menschen beginnen 2015 mit guten Vorsätzen. Wie sieht es bei Salzgitters Oberbürgermeister aus?
Klingebiel: Ich habe keine gezielten Vorsätze. Aber ich freue mich auf jeden Tag, auf die Höhen und die Tiefen, auf das Bekannte und das Unerwartete. Jeder Tag bietet die Chance, ihn zum besten Tag zu machen. Es wäre jedenfalls schön, wenn wir Ende 2015 auf ein gutes Jahr zurückblicken können.
hallo: Sie stehen am Anfang ihrer zweiten Amtszeit. Wenn Sie die Zeit jetzt vergleichen mit Ihrem Start vor acht Jahren – sind die Voraussetzungen besser oder schlechter?
Klingebiel: Besser oder schlechter, so will ich das nicht einordnen. Die Voraussetzungen sind anders. Ich bin damals neu gestartet, jetzt komme ich aus einer Zeit, in der viel angestoßen wurde. Die Stadtgesellschaft kann stolz darauf sein, was sie in den acht Jahren bewegt hat. Es geht darum, das Bewährte fortzusetzen und dabei aber auch Neues zu entwickeln.
hallo: Salzgitter rühmt sich einer großen Integrationsleistung. Die Stadt steht nun vor der Aufgabe, viele Flüchtlinge aufnehmen zu müssen. Bei Anwohnern am alten Klinikum waren bei Informationsabend zur geplanten Unterkunft auch Vorbehalte und Ablehnung zu spüren. Was sagen Sie dazu?
Klingebiel: Unsere Willkommenskultur sollte man nicht von einem Abend abhängig machen. Sorgen und Nöte sind menschlich und ernst zu nehmen. Allerdings sollten wir uns nicht von Ängsten leiten lassen. Gerade in Salzgitter ist die Integrationsbereitschaft sehr ausgeprägt. Wir müssen uns bewusst machen, dass unsere Wohlstandsgesellschaft noch gar nicht so lange besteht. In erster Linie waren es Flüchtlinge, die diese Stadt aufgebaut haben. Ich bin überzeugt, dass wir weltoffen sind und so auch den Menschen gegenüber treten sollten.
hallo: Welche Chancen haben die Flüchtlinge für die Stadt?
Klingebiel: Ich würde es nicht nur auf die Flüchtlinge runterbrechen. Sie kommen aus einer Notsituation heraus zu uns. Sie aufzunehmen hat etwas mit christlicher Nächstenliebe zu tun. Etwas anderes ist die strategische Ausrichtung, sich aktiv um Zuwanderung zu bemühen. Nur über sie und über eine höhere Geburtenrate lässt sich eine Gesellschaft oder Stadt weiterentwickeln. Da sehe ich die Chancen, da können Asylbewerber und Flüchtlinge ein Teil derer sein, die zuwandern. Es kommt darauf an, ob jemand bewusst in seine Stadt zieht, um zu bleiben und sich einzubringen. Wir müssen den Menschen erleichtern, hier Fuß zu fassen. Integration beschränkt sich nicht darauf, Wohnraum bereitzustellen wie in den 90ern. Wir müssen auch Perspektiven aufzeigen, Sprache und Bildung vermitteln. Zuwanderung ist eine Chance, da ist über Jahrzehnte politisch viel versäumt worden, egal wer regiert hat.
hallo: Außer der menschlichen gibt es immer auch die finanziellen Seite. Wie lange kann sich die Stadt das leisten.
Klingebiel: Auf die Flüchtlinge bezogen haben wir keine Wahl. Wir bekommen die Personen zugewiesen, was ja auch eine Auswirkung auf die Sozialstruktur hat. Wir können uns das aber nicht aussuchen. Wir sind zuständig für Unterbringung, medizinische Versorgung und Bildung. Da ist die finanzielle Ausstattung von Bund und Land nicht auskömmlich, auch wenn die Zahlungen erhöht wurden. Die Kommunen zahlen drauf, obwohl es eine staatliche Aufgabe ist. Das darf aber nicht dazu führen, dass wir niemanden mehr aufnehmen.
hallo: Für die Einwohnerzahl wirkt sich die Zuwanderung positiv aus. Die Stadt hat ein stabiles Plus seit Monaten. Worauf führen Sie das zurück?
Klingebiel: Auf zukunftsweisende politische Beschlüsse, auf den Stadtkonsens und die harte Arbeit bei der Umsetzung. Das ist eine gesamtgesellschaftlicher Erfolg. Sich bei den Ressourcen auf ein Schwerpunktthema zu beschränken und an dem Ziel der kinder- und familienfreundlichen Lernstadt festzuhalten, halte ich für eine politische Meisterleistung. Das bezieht sich nicht nur auf Rat und OB, sondern auch auf die Akzeptanz innerhalb Salzgitters. Dabei geht es um die Bereitschaft, dass andere Aufgaben zurückstehen. Solange die Schulen nicht saniert sind, müssen wir bei den Straßen zurückfahren. Dauerhafter Erfolg funktioniert nur mit langfristigen Strategien.
hallo: Die Stadt muss sich nach Verhandlungen mit dem Land bei den Investitionen beschränken, wie lässt sich das Konzept aufrecht halten?
Klingebiel: Ganztagsschule und Inklusion oder Krippenausbau sind politisch von Bund und Land gefordert, werden aber nicht komplett bezahlt. Ich erwarte vom Land, dass die Kredite genehmigt werden, wenn wir als Stadt schon in Vorleistung gehen. Und ich erwarte, dass wir das Geld auch zurückbekommen.
hallo: Wie beurteilen Sie insgesamt die Lage für Salzgitter?
Klingebiel: Vorweg geschickt, haben wir als Stadt ein Einnahme- und kein Ausgabeproblem. Salzgitter verfügt über eine Monostruktur, hängt vor allem ab von der wirtschaftlichen Leistung der Big Five. Geht es denen nicht gut, hat die Stadt ein Problem. Aber wir sind ein Industrie-standort und werden es auch bleiben. Der Mittelstand hat sich in meinen Augen gut entwickelt, und wir hoffen auf eine gute Entwicklung durch das geplante Industriegebiet Watenstedt. Im nächsten halben Jahr entscheidet sich, ob es in die EU-Förderung kommt. Das Land muss sich dazu bekennen wie auch zum Ausbau des Stichkanals.
hallo: Beim Stichkanal gab es einen Rückschlag. Wie lässt sich eine Fertigstellung vor 2021 oder 22 erreichen?
Klingebiel: Ich habe die Hoffnung, dass das Projekt im Verkehrswegeplan weiter nach vorne rutscht. Ich setze auf unsere Abgeordneten und die Zusage des Ministerpräsidenten.
hallo: Und Schacht Konrad: Wie stehen sie zur Diskussion um eine mögliche Erweiterung der Kapazitäten?
Klingebiel: Ich dachte, nach acht Jahren überrascht mich so schnell nichts mehr. Diese Überlegungen sind abenteuerlich. Wir – also Rat, OB, Verwaltung und die ganze Stadtgesellschaft – werden alles tun, um die Inbetriebnahme eines Atommüllendlagers zu verhindern, das auf dem wissenschaftlichen und technischen Stand aus Vorzeiten geplant wurde.