Wenn das Spiel zur Sucht wird – Tendenz in Wolfsburg ist steigend
Wolfsburg. Wer süchtig ist, nimmt Heroin oder trinkt über die Maßen Alkohol – so die landläufige Meinung vieler Menschen. Doch es gibt auch anderes Suchtverhalten. Zum Beispiel ist Spielsucht ein Leiden, das oftmals im Verborgenen ertragen wird. Auch in Wolfsburg gibt es viele Spielsüchtige (siehe auch Infokasten rechts).
Mehr als 70 Milliarden Euro haben die Deutschen 2013 für Glücksspiele aufgebracht. Das ergibt sich nach Informationen des Nachrichtenmagazins Spiegel aus einer Untersuchung der Länder zur Bewertung des Glücksspielstaatsvertrags, den diese 2011 abgeschlossen hatten.
17 Milliarden Euro setzten Spieler demnach allein in Internetcasinos ein, mindestens dreimal so viel wie zwei Jahre zuvor. Hinzu kommen Online-Poker und Internetlotterien. Rund drei Milliarden gaben Tipper zudem für Sportwetten aus.
Der Spieler verspürt Glücksgefühle, Erregung und Betäubung: Es ist wirklich eine Sucht. Insbesondere für junge Männer ist Spielen faszinierend und gefährlich zugleich, sagt Konrad Landgraf, Geschäftsführer der Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern. Einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zufolge galten 2013 etwa 438.000 Menschen zwischen 16 und 65 Jahren als krankhafte Spieler. Fast jeder zehnte junge Mann zwischen 18 und 20 Jahren ist demnach in den Fängen des Glücksspiels.
Gerhard Meyer ist Leiter der Bremer Fachstelle Glücksspielsucht. Junge Männer, Arbeitslose und Personen mit Migrationshintergrund haben ihm zufolge ein besonders hohes Risiko. Aber natürlich seien auch Menschen, die vor Problemen fliehen, unter depressiven Stimmungen oder einem schwachen Selbstwertgefühl leiden, gefährdet. Besonders schlimm: Das exzessive Spielverhalten führt infolge des hohen finanziellen Aufwands und sozialen Folgeschäden zu belastenden Gedanken und Gefühlen, die sich am schnellsten und effektivsten durch eine erneute Spielteilnahme beheben lassen – ein Teufelskreis.
Dabei geht es laut Meyer gar nicht ums Geld, sondern um die Gefühle, die die Teilnahme am Glücksspiel hervorruft. Das sind Glücksgefühle, Betäubung oder Erregung. Der Spieler steckt beispielsweise Geld in den Spielautomaten, in der Hoffnung einen Gewinn zu erzielen. Der Einsatz ist mehr oder minder bewusst mit der Angst gekoppelt, das Geld zu verlieren. Diese Kombination aus der Angst vor dem Verlust und der Hoffnung auf den Gewinn ist mit Stimulation verbunden, eine Art Nervenkitzel.
Der positive Effekt wird dabei völlig unabhängig vom tatsächlichen Spielausgang erreicht. Geht das Spiel verloren, können die negativen Gefühle wie zum Beispiel Enttäuschung sofort ausgeblendet werden, wenn gleich wieder Geld eingesetzt werden kann.
Glücksspiele mit rascher Spielabfolge wie Spielautomaten hätten, so betont Meyer, deshalb ein hohes Gefährdungspotenzial.
Tendenz in Wolfsburg ist steigend
Das Land Niedersachsen will vor den Spielsucht-Gefahren schützen und hat an 25 Standorten Fachleute zur Prävention eingestellt. Eine von ihnen ist Birgit Gallinsky. Sie ist diplomierte Sozialpädagogin und -arbeiterin und ist für die Jugend- und Drogenberatung Wolfsburg (Drobs) tätig. Sie berät Betroffene in der Stadt Wolfsburg und der Region. Im Jahr 2014 hat Birgit Gallinsky zusätzlich zu ihrer Präventionsarbeit 63 Menschen beraten. 32 Prozent von ihnen waren Angehörige. „Die Dunkelziffer der Spielsüchtigen ist sicher erheblich höher“, so Gallinsky im hallo-Gespräch. Da es laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Niedersachsen 76.000 Spielsüchtige gibt, dürften es in Wolfsburg ebenfalls rund 1000 Menschen sein, die die Finger nicht vom Glücksspiel lassen könnten. „Wir haben sicher eine steigende Tendenz in Wolfsburg“, berichtet die Expertin. Betrachte man allein die vielen Glücksspiel-Möglichkeiten – zum Beispiel Spielhallen, Sportwettbüros oder auch die einschlägigen Internetangebote – sei die Tendenz in ihren Augen nicht verwunderlich. Suchen betroffene Spielsüchtige Hilfe bei ihr, werde im ersten Schritt die persönliche Situation des Betroffenen analysiert, um das weitere Vorgehen entscheiden zu können. Notfalls komme auch eine stationäre Therapie in Frage. Oft melden sich auch Angehörige, die die Lebenssituation nicht länger ertragen könnten. „Da mache ich mir ebenfalls ein gründliches Bild von der Problematik“, so Gallinsky. Im nächsten Schritt werde versucht, den Süchtigen zu motivieren, Hilfe anzunehmen. Die Angehörigen könnten sich auch bei negativem Ausgang weiter beraten lassen.
❱❱ Birgit Gallinksy ist erreichbar über die Drobs unter Tel. 05361-27900. Weitere Infos im Internet unter www.drogenberatung-wolfsburg.de.
Von Christoph Fricke